Herr Häusler, Sie widmen sich als politischer Berater von "Tradition und Leben", der "Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des monarchischen Gedankens" und in zahlreichen Veröffentlichungen der Frage nach dem Sinn der Monarchie im 21. Jahrhundert. Wie kommt man denn als Schweizer gerade zu diesem Thema?
Häusler: Ein hoher Diplomat unseres Landes hat einmal augenzwinkernd gesagt: Die Schweizer seien alles Monarchisten, sie wüssten es nur nicht. Vielleicht dachte er daran, dass bedeutend mehr Schweizer auf die Straße zum Winken gehen, wenn ein König oder eine Königin zu Besuch in unserem Lande weilt, als dies bei einem Präsidenten der Fall ist. Als Politologe und Historiker hat man sich fast zwangsläufig mit der Monarchie auseinanderzusetzen. Das gilt auch für uns Schweizer, denn lange Zeit war unser Land ein Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, de facto bis zum Schwabenkrieg 1499 und de iure bis zum Westfälischen Frieden 1648. Wir waren durchaus kaisertreu, solange dieser uns unsere Freiheiten garantierte. Schon früh jedoch bekamen wir Mühe mit geldgierigen Landvögten und setzten uns zur Wehr. Einzelne Orte wie Bern waren stark aristokratisch geprägt, viele Schweizer dienten in ausländischen Heeren, und der Schweizer Briefadel erhielt seine Titel von ausländischen Monarchen. Neuenburg war eine Zeit lang gleichzeitig Schweizer Kanton und preußisches Fürstentum. Viele frühere Monarchen und heutige Vertreter des Hochadels lebten in der Schweiz, darunter Napoleon III. bei uns in Thurgau, Kaiserin Elisabeth von Österreich und ihre Nachfolgerin Zita, der jetzige König von Thailand, der Exkönig von Rumänien, Michael I., und die italienische Königsfamilie. Dann dürfen wir natürlich die Habsburger nicht vergessen, die sich vor gut 1.000 Jahren im Aargau ihre Stammburg errichtet haben. Persönlich habe ich mich seit den Umwälzungen in Osteuropa mit der Monarchie beschäftigt, als in etlichen der dortigen Staaten die früheren Könige mit großem Jubel empfangen wurden. Die Monarchie interessiert mich vor allem als psychologische Staatsform; ich habe die Tätigkeit des modernen Königs auf die Kurzformel gebracht: "Politisch wirken, ohne politisch zu sein."
Derzeit diskutiert man in Deutschland über die Einführung von mehr direkter Demokratie, um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Halten Sie es für sinnvoll, wenn die Parteienmacht von zwei Seiten begrenzt würde: zum einen durch mehr unmittelbare Beteiligung des Bürgers und zum anderen durch eine monarchische Instanz?
Häusler: Ausufernde Macht zu begrenzen ist immer sinnvoll, am besten schon durch die Verfassung. "Macht", hat Jacob Burckhardt einmal gesagt, "ist an sich böse." Ich jedoch sage, es kommt darauf an, was man aus ihr macht. Wenn Parteienmacht ausufert, wird die demokratische Kontrolle unterlaufen. Natürlich ist eine solche Gefahr in repräsentativen Demokratien größer als in direkten wie der Schweiz. Hier spricht in fast allen Belangen der Souverän, also das Volk, das letzte Wort. Das Modell, das Sie ansprechen, schwebt dem Fürsten von Liechtenstein vor, der einerseits die Volksrechte und andererseits die des Monarchen auf Kosten der verfilzten Parlamentarier ausweiten möchte. Meines Erachtens ist eine Beschränkung der Parteienmacht durch mehr Volksrechte sinnvoll, doch hat auch das seine Grenzen. Den Monarchen hingegen sollte man aus der Politik heraushalten. Er kann als überparteilicher Mahner wirken und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl die Parteien zu dienendem Verhalten erziehen, wie wir es bei König Bhumibol von Thailand sehen. Ein institutionalisiertes Gegengewicht kann er aber kaum darstellen, ohne selbst politisch zu werden.
In Ihrem Buch "Herrscher der Herzen?"" analysieren Sie die parlamentarische Monarchie als eine gemischte Verfassung im antiken Sinne. Cicero zum Beispiel hat die Vorzüge der römischen Republik in der Vereinigung der drei Verfassungstypen Monarchie, Aristokratie und Demokratie gesehen, da eine solche Kombination am ehesten die Entartung dieser Grundformen verhindert. "Mehr Demokratie wagen" um jeden Preis ist also nicht ratsam?
Häusler: Gonzague de Reynold, ein berühmter Schweizer Konservativer, hat einmal gesagt: "Jedes Regime geht an der Übertreibung seiner eigenen Grundsätze zugrunde." Und Markus Feldmann, früherer Schweizer Bundesrat, stellte 1926 fest, dass die Demokratie sich selber umbringt, wenn sie ihre Prinzipien auf Gebiete anwendet, die sich dazu nicht eignen. Mit diesen Warnungen im Hinterkopf kann man durchaus mehr Demokratie wagen, aber jeglicher Extremismus ist zu vermeiden.
Sie sehen den Sinn des Königtums vor allem in seiner identitätsstiftenden Funktion; schließlich wirkt ein Monarch, dessen Ansehen von der Alltagspolitik unbefleckt ist, viel integrativer als ein auf Zeit gewählter Präsident. Haben die Monarchien nicht trotzdem mit derselben Politikverdrossenheit und Kulturvergessenheit zu kämpfen wie die republikanischen Staaten?
Häusler: Ich denke, die heutige Politikverdrossenheit ist oft mehr eine Politikerverdrossenheit. Und Politiker gibt es auch in Monarchien. Daher können sie natürlich von diesem Phänomen nicht verschont bleiben. Hingegen glaube ich, daß die Kulturvergessenheit in den Monarchien etwas weniger um sich greift, da ein monarchisches System Traditionen stärker pflegt als eine relativ junge Republik. Außerdem kann die Monarchie von der Politikverdrossenheit auch profitieren, da der König in den meisten parlamentarischen Monarchien aus dem politischen Tagesgeschäft herausgehalten wird. Die Monarchen Europas sind überwiegend sehr populär. Wäre die von ihnen erwähnte Politik(er)verdrossenheit auf sie (mit)bezogen, wären sie es nicht. Damit wachsen die Monarchen immer mehr in die Rolle eines Ombudsmannes hinein, da die Bürger ihre letzte Hoffnung auf Bearbeitung ihrer Anliegen nur noch im Monarchen sehen.
Vor allem Lady Diana als "Königin der Herzen" haben Sie in Ihrem Buch als exemplarische Gestalt für Ihre These von der Monarchie als psychologischer Staatsform hervorgehoben. Man könnte aber auch vermuten, dass ihre Beliebtheit mehr mit ihrer Persönlichkeit als mit ihrer politischen Rolle zu tun hat. Die Leute schwärmen ja auch für Sportler und Popstars ...
Häusler: Wie wollen Sie die Rollen trennen? Dank ihrer Persönlichkeit, so widersprüchlich sie war, bekam ihr Wirken auch eine politische Dimension. In einer Welt zunehmender Entmystifizierung bleibt der Hang des Menschen zur Verehrung eines sichtbaren, der Normalität entrückten Objekts oft ungestillt. Die Beliebtheit der Prinzessin resultiert wohl aus der besonderen Verbindung der königlichen Aura mit ihrem früheren gewöhnlichen Beruf als Kindergärtnerin; hinzu kommen ihre intuitiven Fähigkeiten. Auch nach dem Zerbrechen ihrer Ehe und trotz ihrer Essstörungen und Depressionen blieb sie vielen ein Vorbild; sie durchlebte das Schicksal vieler Frauen in aller Welt. Diana sprach vieles in vielen an. Nur so ist die Massentrauer zu verstehen. Auch durch ihre Verkörperung menschlicher Herzlichkeit und aristokratischer Entrücktheit versöhnte die Prinzessin symbolisch die Widersprüche zwischen oben und unten.
Wie schätzen Sie die Rolle der Medien ein? Fördern sie die Zuneigung der Menschen zur Königsfamilie, oder schaden sie, indem sie alles an die Öffentlichkeit zerren und der Monarchie die Aura nehmen?
Häusler: Ja, die Medien sind ein wichtiger Faktor für die Monarchie, sie haben in der Tat positive und negative Auswirkungen. Aufmerksame Beobachter haben schon lange festgestellt, dass die Monarchie, seit sie nicht mehr einen direkten Machtfaktor darstellt, an gesellschaftlichem Einfluss eher gewonnen hat, und dies nicht nur in England. Zu dieser Entwicklung und noch mehr zur Psychologisierung der Monarchie haben die Medien einen großen Beitrag geleistet. Auf Schritt und Tritt von neugierigen Kameras begleitet zu werden, stellt an die Träger der Krone und ihre Familien jedoch hohe Anforderungen. Andererseits kann ein geschickter Umgang mit den modernen Kommunikationstechniken das Wirken der Krone wesentlich erhöhen, wie Sie am Beispiel von Königin Elizabeth II. sehen können. Es ist ihr gelungen, den Thron sozusagen in die Wohnzimmer zu bringen. Der Umgang mit den Medien gehört deshalb zum Standardprogramm jeder Erziehung an einem Königshof. Jedoch ist die Zunft der "Royal Watchers" in der Boulevardpresse kaum mehr zu kontrollieren. Wieweit ihr Werk auch zerstörerischen Einfluss auf die von ihnen verfolgten Mitglieder der Königshäuser ausübt, ist beim Tode Prinzessin Dianas tragisch demonstriert worden. Sicher geben sich die wenigsten Sensationsjournalisten darüber Rechenschaft, dass sie die persönlichen Dramen der Königsfamilie, über die sie in so mitfühlenden Worten berichten, selbst mitverschuldet haben. Dieser Rückkoppelungseffekt ist wohl kaum zu unterschätzen und müsste wohl zum Schutze des Monarchen und seiner Familie gewisse gesetzliche Maßnahmen bedingen. Wieweit sich die Presse wiederum durch Mitglieder eines Königshauses zur Austragung persönlicher Animositäten instrumentalisieren lässt, müsste dann allerdings auch geklärt werden. Immerhin haben die Umstände, welche zum Tode Prinzessin Dianas geführt haben, den Präsidenten der Selbstzensur-Kommission der britischen Presse, Lord Wakeham, veranlasst, Vorschläge zu einem neuen Verhaltenskodex auszuarbeiten. Eines seiner Hauptziele bestünde darin, sagte er, die Paparazzi arbeitslos zu machen. Andererseits ist die Monarchie nun einmal "in the visibility business", wie David Cannadine es einmal formuliert hat. Von daher resultiert wohl auch die Erkenntnis von Prinz Charles: "Wenn die Fotografen sich nicht für dich interessieren, ist es Zeit, sich Sorgen zu machen." Größte Sorgen um den Fortbestand der Monarchie jedoch müsste man sich dann machen, wenn sie zu einer reinen soap opera verkäme.
Die Monarchie hat in weit stärkerem Maße als die Republik eine metaphysische Verankerung. Der Historiker Ernst Kantorowicz unterschied die irdische Person des Königs von einer mythisch-religiösen, die sich im Laufe der Säkularisierung zu einer juristischen wandelte. Auch in dieser weltlichen Abstraktion kommt dem König eine Bedeutung zu, die dem heutigen Gleichheitsgrundsatz fremd ist. Lässt sich eine Monarchie nur in psychologischer Hinsicht, ohne ein entsprechendes politisches und religiöses Bewußtsein, restaurieren?
Häusler: Wissen Sie, mit der Gleichheit ist es so eine Sache, nachdem wir schon biologisch alle verschieden sind. Natürlich ist die Psychologisierung der Monarchie ohne deren religiösen Hintergrund gar nicht vorstellbar. Die britische Königin ist immer noch Oberhaupt der anglikanischen Kirche; "Defender of the faith", Beschützer des Glaubens, lautet einer ihrer Titel. Detlef von Ziegesar hat dazu festgestellt, daß diese sakrale Eigenschaft der Königin nicht unmittelbar ihre höhere Akzeptanz als Oberhaupt der Nation zur Folge hat; sie verleiht ihr jedoch eine geistige Dimension, die ein gewähltes Staatsoberhaupt nicht für sich beanspruchen kann. In Spanien hatte die religiöse Dimension der Monarchie sogar existenzielle Auswirkungen auf die Demokratie. Niemals ist dies deutlicher geworden als 1981 anlässlich des Staatsstreichversuchs in diesem Land. König Juan Carlos I., der nach seinem Thronantritt 1975 die Demokratisierung des Landes einleitete, zeigte in dieser Situation unerschütterliche Verfassungstreue, was die Putschisten zu Hochverrätern werden ließ. Dabei kam auch der religiöse Mythos ins Spiel: Ein General, der später von einer deutschen Zeitschrift befragt wurde, warum er dem König gehorcht habe, gab sinngemäß die Antwort, einem Präsidenten hätte er sich wohl nicht gefügt, aber gegen einen König hätte er sich nicht versündigen wollen, denn ein König stehe unter dem Schutz Gottes. Auch eine moderne Monarchie darf sich durchaus auf den Glauben stützen. Sie kann sogar Beschützerin aller Gläubigen sein, unabhängig von ihrer Religion. Prinz Charles hat anlässlich des 25. Jahrestages seiner Einsetzung als Prince of Wales die Absicht kundgetan, sich als künftiger Monarch nicht mehr "Beschützer des (anglikanischen) Glaubens", sondern als ökumenischer Schutzpatron aller im Vereinigten Königreich etablierten Religionen "Defender of faith" zu nennen. Das wäre eine beachtliche Neuerung. Aus diesem Grunde höre ich auch das Wort "Restauration" nicht so gerne. Zu sehr beinhaltet es die unmögliche Wiederherstellung eines alten Zustandes. Die moderne Monarchie müsste neue Zeichen setzen und neue Traditionen einführen. Gerade der mit Hilfe des Parlamentarismus ermöglichte Rückzug des Königtums aus den Bezirken der Macht ins Mythisch-Ideelle verschafft dieser Institution Glaubwürdigkeit. Allerdings hängt ihr erfolgreiches Wirken auch von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers ab. Wichtig ist, dass sich der König als Mitte der Gemeinschaft und nicht als Spitze der Gesellschaftspyramide versteht. Ferner muß die Verfassung so ausgestaltet sein, dass der Monarch zwar außerhalb der tagespolitischen Verantwortung gehalten, jedoch nicht völlig mit einem Maulkorb versehen wird. (...)
In Deutschland stehen der Wiedereinführung der Monarchie fast unüberwindliche verfassungsrechtliche Hürden entgegen. Andererseits würden Umfragen zufolge erstaunlich viele Menschen eine monarchisch-demokratische Staatsform begrüßen. Was empfehlen Sie jungen Neo-Monarchisten?
Häusler: Nur wenn eine der etablierten Parteien im Bundestag sich des Anliegens annähme und jenen Artikel des Grundgesetzes ändern wollte, der die Republik zwingend vorschreibt, gäbe es wohl etwas Hoffnung. Aber selbst wenn von Wählerseite hierfür genug Druck gemacht würde, wäre es ein langer Weg durch die Institutionen, und der Erfolg wäre keineswegs sicher. Zudem müsste auch der auserwählte Thronfolger zur Übernahme des Amtes bereit sein. Ich denke, im Moment bleibt nur, sich Gleichgesinnten anzuschließen und sich für die parlamentarische Monarchie einzusetzen. Dieses Ziel dürfte den Monarchisten in Deutschland große Geduld abverlangen, aber Mao Tsetung hat einmal gesagt: "Die Ersteigung eines Berges beginnt mit dem ersten Schritt."
Von Baal Müller