Kaiser Karl I. - der (vorerst) letzte Kaiser von Österreich

Der letzte Kaiser?

Erzherzog Carl Franz Joseph wurde am 17. August 1887 im Schloss Persenbeug an der Donau geboren. Seine Eltern waren Erzherzog Otto (Sohn des Erzherzogs Karl Ludwig und Bruder des Erzherzogs Franz Ferdinand) und Erzherzogin Maria Josepha, eine Prinzessin von Sachsen. Zwei Tage nach seiner Geburt wurde er von Dr. Matthäus Binder, Bischof von St. Pölten, auf den Namen Carl Franz Joseph Ludwig Hubert Georg Otto Maria getauft.

Karls_Eltern
Erzherzog Carl Franz Joseph
mit seinen Eltern

Niemand dachte an eine Krone für den kleinen Prinzen. Kronprinz Rudolf lebte, und auch nach dessen unglücklichem Tod im Jänner 1889 standen noch Franz Ferdinand und seine möglichen Nachkommen zwischen Erzherzog Otto und seinem Sohn in der Erbfolge der Krone. Dies änderte sich im Jahr 1900 durch die morganatische Ehe des Thronfolgers.

Ab 1894 übernahm Graf Georg Wallis den Posten als Erzieher des kleinen Erzherzogs. Wallis, der bereits Carls Vater und seinen Onkel Franz Ferdinand erzogen hatte, wurde zu einem lebenslangen Vertrauten des Erzherzogs. Dieser genoss ein umfassendes Lernprogramm mit besonderer Betonung der Sprachen. Unüblich für ein Mitglied des Kaiserhauses nahm Carl von 1900 bis1902 am Unterricht im Schottengymnasium in Wien teil. Er besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis und lernte schnell und gründlich. Mit seinen Klassenkameraden kam er gut aus. Sie nannten ihn "Erz-Karl". Im Sommer unternahm er ausgedehnte Reisen, wobei er viele Teile der großen Monarchie kennen lernte.

1903 ernannte ihn der Kaiser zum Leutnant des Ulanenregiments "Erzherzog Otto" Nr. 1. Sein aktiver Dienst fing erst zwei Jahre später an, als er zum 7. Dragoner-Regiment eingeteilt wurde. Die Garnison war zuerst in Kutterschitz bei Bilin in Böhmen, später in Brandeis an der Elbe/Brandýs nad Labem (1906) und dann in Alt-Bunzlau/Stará Boleslav (1908) stationiert. Am 1. November 1906 wurde Erzherzog Carl Franz Joseph zum Oberleutnant befördert. Dieses erfreuliche Ereignis wurde jedoch vom frühen Tod seines Vaters am selben Tag überschattet. Erzherzog Carl übersiedelte in eine Wohnung im Schloss am Hradschin in Prag. Zwei Jahre lang studierte er Rechts- und Staatswissenschaften an der Prager Universität. Danach kehrte er zum Regiment in Brandeis zurück, wo er ein Schwadronskommando übernahm.

Seit dem Tod seines Vaters stand Erzherzog Carl unmittelbar nach seinem Onkel, Franz Ferdinand, in der österreichischen Erbfolge. Kaiser Franz Joseph ließ klar erkennen, dass er keine weitere Mesalliance im Kaiserhaus dulde. Um so größer war die Freude und die Erleichterung des Kaisers, als er von Erzherzog Carls Liebe zu Prinzessin Zita von Bourbon-Parma erfuhr.

HochzeitVonKarl
Hochzeit in Schwarzau

Zita war eine Tochter von Robert, dem letzten regierenden Herzog von Parma. Die Verlobung fand am 13. Juni 1911 in Pianore in Norditalien statt. Die Hochzeit selbst folgte am 21. Oktober 1911 in Schwarzau. Die Trauung im Beisein des Kaisers und des Thronfolgers Franz Ferdinand wurde von Monsignore Bisletti, einem Freund des Hauses Parma und dem Majordomus von Papst Pius X., vollzogen. Das päpstliche Geschenk war ein Bild Christi in einem prachtvollen Rahmen, geschmückt von den Wappen des Brautpaares und dem des Papstes.

Nach den Flitterwochen kehrte das junge Paar zur Garnison in Alt-Bunzlau zurück. Anfang März 1912 wurde sein Regiment nach Kolomea in Ostgalizien verlegt. Seit 1909 Rittmeister, wurde Erzherzog Carl am 1. November 1912 zum Major im Infanterie-Regiment Nr. 39 befördert. Er und Zita übersiedelten nach Wien, wo er in der Stiftskaserne den Befehl über das 1. Bataillon übernahm. Am 20. November kam in Reichenau das erste Kind zur Welt. Carl und Zita nannten ihren Sohn nach Carls verstorbenem Vater Otto. In Wien wurde der erzherzöglichen Familie das Schloss Hetzendorf zur Verfügung gestellt. Den Sommer verbrachte man auf Wartholz in Reichenau. Es spricht für den jungen Erzherzog Carl Franz Joseph, dass er sowohl zum Kaiser Franz Joseph in Schönbrunn wie auch zu seinem Onkel Erzherzog Franz Ferdinand im Belvedere, ausgezeichnete Beziehungen unterhielt. Franz Ferdinand akzeptierte seinen Neffen ohne jegliche Bitterkeit als Erben. Für den Kaiser waren Carl und Zita die Hoffnung für die Zukunft, da er sich nie wirklich mit der morganatischen Ehe seines Nachfolgers abgefunden hatte. Trotzdem rechnete niemand mit einer baldigen Thronbesteigung des jungen Erzherzogs, am allerwenigsten Carl und Zita selbst.

Die schicksalhaften Schüsse von Sarajevo am 28. Juni 1914 änderten die Lage entscheidend. Der junge Erzherzog, der am Abend des 2. Juli die Leichname seines Onkels und seiner Tante am Wiener Südbahnhof im Empfang nahm, war nunmehr unmittelbarer Nachfolger des fast 84-jährigen Kaisers. Seine erste traurige Aufgabe war es, die Särge des ermordeten Thronfolgerpaares zur Beisetzung nach Schloss Artstetten zu begleiten. Noch im Juli fuhr er nach Bad Ischl, um sich mit dem Kaiser über die aktuelle Lage zu beraten. Am 21. Juli 1914 ernannte Kaiser Franz Joseph den neuen Thronfolger zum Oberst im Husarenregiment Nr. 1 "Kaiser". Eine Woche später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Der Hof übersiedelte zurück nach Wien.

Für Thronfolger Erzherzog Carl Franz Joseph begann eine Zeit der Frontbesuche und Sondermissionen. Zwischen seinen militärischen Pflichten wurde er vom Kaiser selbst in die Regierungsgeschäfte eingewiesen. 1915 wurde er Generalmajor, 1916 Feldmarschalleutnant. Der junge Thronfolger lernte die Sinnlosigkeit und die Greuel des Krieges aus nächster Nähe kennen. Unter den Truppen an der Front genoss er Respekt und Beliebtheit.

Karl_Bild1
Truppenbesuch bei den Kaiserjägern

Der alte Kaiser starb am 21. November 1916 nach einer Regierungszeit von 68 Jahren. Österreich hatte ein neues, junges Kaiserpaar. Ein Thronwechsel mitten im Krieg ist keine leichte Aufgabe. Die Nachfolge einer lebenden Legende wie Kaiser Franz Joseph anzutreten, war sogar für den Tapfersten eine nur schwer bewältigbare Herausforderung. In seinem Manifest anlässlich der Thronbesteigung kündigte Kaiser Karl sehr deutlich seinen festen Willen zum Frieden an.

Bei seiner ersten Audienz drängte der ungarische Ministerpräsident, Graf Tisza, auf die Krönung in Budapest. Kaiser Karl (seit seiner Thronbesteigung schrieb er sich nicht mehr mit "C") hatte gehofft, die ungarische Krönung die erlaubten sechs Monate hinausschieben zu können. Nicht nur des Krieges wegen, sondern weil er wusste, dass der damit verbundene Eid seinen Handlungsspielraum für die dringend notwendigen innenpolitischen Reformen weitgehend einengen würde (Franz Ferdinand und sein Stab hatten mit dem gleichen Problem gerungen!). Graf Tisza erklärte, es gäbe einige Gesetze, die nur ein gekrönter König verlängern könne. Mit dem Neuen Jahr drohten deshalb die Nahrungslieferungen an die österreichische Hälfte der Monarchie zum Stillstand zu kommen. Kaiser Karl willigte schlussendlich ein, auch, um dem ungarischen Volk in den Kriegszeiten nicht die Freude an einer Krönungszeremonie zu nehmen. Er vertraute darauf, dass es in Friedenszeiten trotzdem möglich sein werde, die nötigen Reformen in Angriff zu nehmen.

Am 30. Dezember 1916 kniete Karl vor dem Grafen Tisza und dem Primas von Ungarn in der Mathiaskirche in Budapest nieder, um mit der Stephanskrone zum König Karl IV. (IV. Károly) gekrönt zu werden. Kaiserin Zita wurde ebenfalls gekrönt, indem sie mit der Krone auf ihrer Schulter berührt wurde. Anschließend schwor Karl im Freien vor einer jubelnden Menge den Eid auf die Verfassung. Zum Abschluss ritt er den Königshügel hinauf, und schwang sein Schwert in alle vier Himmelsrichtungen, um zu versinnbildlichen, daß der König die Grenzen der Länder der Stefanskrone stets verteidigen würde.

Zurück in Wien leitete Kaiser Karl umgehend Maßnahmen zum Wohl der Bevölkerung ein. Am 26. Jänner 1917 erließ er eine Verordnung zum Schutz der Mieter, um so seine Frontsoldaten und deren Familien vor steigenden Wohnkosten zu schützen. Er erarbeitete Pläne für zwei neue Ministerien, eines für Soziale Fürsorge (eingerichtet im Dezember 1917) und ein weiteres für Volksgesundheit (Juli 1918). Am 30. Mai 1917 berief er den Reichsrat wieder ein . Das Parlament hatte seit Mai 1914 nicht mehr getagt, nun war es Ziel, eine Reichsregierung, die möglichst schnell innenpolitische Reformen durchführen sollte, zu bilden. Kaiser Karls Wille zur Reform wurde letztlich aber durch die deutschnationalen Majoritäten im Reichsrat Österreichs sowie durch die Feudalherren Ungarns verhindert. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Ungarn scheiterte ebenfalls an den konservativ-antidemokratischen Kräften im dortigen Parlament. Am 2. Juli verkündete der Kaiser eine Amnestie für politische Verbrechen. Karl versuchte, das Leben der Zivilbevölkerung zu normalisieren. Er setzte die Akzente auf Versöhnung und Hoffnung.

Im Deutschen Reich betrachteten die kriegführenden Generäle den neuen österreichischen Herrscher mit Unbehagen und Misstrauen. Seine Armee galt wegen ihres multinationalen Charakters bereits, wenn auch ungerechtfertigt, als unzuverlässig. Jetzt gab es einen jungen, aktiven Kaiser, an dessen Wille zu siegen gezweifelt werden musste! Hinzu kam, dass der Kaiserden Einsatz von Giftgas in der k. u. k. Armee ausdrücklich verboten hatte (was freilich die Deutsche Armee nicht daran hinderte, bei der Schlacht von Karfeit Gasangriffe zu führen).

Aus Deutschland und aus großdeutschen Kreisen wurden in der Monarchie viele gehässige Unwahrheiten über das neue Herrscherpaar verbreitet. Der Kaiser sei ein Säufer, ein Pantoffelheld, pro-französisch usw. Die französisch-italienische Herkunft der Kaiserin reichte, um ihren Patriotismus in Zweifel zu ziehen (Ähnliches wiederfuhr Zarin Alexandra in Russland.). Diese verräterischen Lügen verfehlten allerdings ihre Wirkung bei der breiten Masse. Kaiser Karl und Kaiserin Zita wurden bis zum bitteren Ende von der Bevölkerung umjubelt!

Trotz Karls häufiger und dringlicher Warnung erklärte Deutschland im Atlantik den uneingeschränkten U-Bootkrieg. Wie der Kaiser prophezeit hatte, traten im April 1917 die U.S.A. auf Seiten der Entente-Mächte in den Krieg ein, womit der Krieg endgültig verloren war. Die Deutschen verharrten in ihrem Siegesglauben. Dazu mussten sie lediglich Russland aus dem Krieg bringen. Sie entschlossen sich, den bolschewistischen Revolutionär Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, aus der Schweiz nach Russland zu schleusen, um den kriegswilligen Kerensky zu entmachten. Karl weigerte sich, Lenin freies Geleit durch österreichisches Territorium zu gewähren. Abgesehen vom moralischen Aspekt wusste der Kaiser, dass Revolutionen keine Grenzen kennen. Österreich-Ungarn hatte zu viel zu verlieren!

Wiederholt gab es während der Kriegsjahre Friedensversuche. Zur Regierungszeit Kaiser Karls wurden diese häufiger und intensiver, denn beide Seiten wurden zunehmend kriegsmüde. Für Kaiser Karl war die Suche nach Frieden ein persönliches Anliegen sowie eine politische Notwendigkeit. Es sei betont, dass der Kaiser einen allgemeinen Frieden im Gleichklang mit seinen Verbündeten suchte. Zu einem Sonderfrieden für Österreich-Ungarn war er nur in äußerster Not bereit.

Zum bekanntesten Friedensversuch wurde die sogenannte Sixtus-Affäre im Frühjahr 1917; hauptsächlich wegen ihres skandalösen Nachspiels ein Jahr später. Das Hauptquartier des Kaisers befand sich in Baden und die kaiserliche Familie verbrachte viel Zeit im unweit gelegenen Schloss Laxenburg. Es war in Laxenburg, als Kaiser Karl am 23. März 1917 seine Schwäger, die Prinzen Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma, heimlich empfing. Als Offiziere der feindlichen belgischen Armee musste ihre Anwesenheit auf österreichischem Boden streng geheim bleiben. Nichtsdestoweniger war der Außenminister, Graf Czernin, in die Gespräche eingeweiht. Und sogar Kaiser Wilhelm selbst war informiert, ohne die Identität der Verhandler zu kennen. Als Beweis seiner Ernsthaftigkeit schrieb Karl einen Brief an seinen Schwager Sixtus, in dem er versprach, sich für die gerechten Rückforderungsansprüche Frankreichs auf Elsass-Lothringen gegen Deutschland einzusetzen. Ein Jahr danach sollte diese wohlgemeinte Geste den Kaiser heimsuchen! Es geschah während einer Schlacht der Worte zwischen Außenminister Ottokar Graf Czernin und dem neuen Ministerpräsidenten Frankreichs, Clemenceau, der behauptete, dass selbst Kaiser Karl die Rechte Frankreichs auf Elsass-Lothringen anerkannt hatte. Sowohl Czernin wie auch der Kaiser, allerdings auf Druck Czernins, dementierten. Karl hatte das Ehrenwort des französischen Präsidenten, dass der Brief nie veröffentlicht werden würde. Man hatte vereinbart, dessen Existenz im Notfall zu leugnen. Das war allerdings ein Jahr zuvor gewesen.

Czernin ließ nicht locker, und Clemenceau veröffentlichte den Text des Sixtus-Briefes. Czernin und der Kaiser waren vor der Welt bloß gestellt. Der Außenminister malte dem Kaiser ein verheerendes Bild aus: Bei Aufkündigung des Bündnisses mit Deutschland wäre es unmöglich, weiter gegen Russland vorzugehen, bzw. würde das Deutsche Reich - mit zu erwartender Unterstützung der dortigen deutschsprachigen Bevölkerung - in Böhmen einmarschieren und somit Österreich zu Fall bringen. Derart unter Druck gesetzt versicherte Karl Kaiser Wilhelm: "Unsere weitere Antwort sind unsere Kanonen im Westen."

In weiterer Folge wagte sich Czernin zu weit vor. Wohl wissend, dass der Kaiser seine Politik nicht mehr rückhaltlos unterstützen würde, schlug er vor, der Kaiser solle sich für einige Zeit von den Regierungsgeschäften zurückziehen und diese einem der Erzherzöge überlassen. Bei einem Treffen im April 1918 ließ der Kaiser seinen Außenminister wissen, dass er nicht demissionieren werde, woraufhin Czernin selbst demissionierte. Der Kaiser machte einen Canossagang ins deutsche Hauptquartier. Das Ergebnis war eine noch engere Bindung an Deutschland und dessen Kriegsziele. Von diesem Zeitpunkt an schrieben die Entente-Mächte Österreich-Ungarn effektiv ab, auf dessen Erhaltung als europäische Großmacht zur Kontrolle des Deutschen Reichs sie gehofft hatten, denn eine eigene Außenpolitik schien es nicht mehr zu geben.

Obwohl Russland unter Lenin den Frieden von Brest-Litovsk unterschrieben hatte, verschlechterte sich die Lage der Mittelmächte zunehmend. Die Versorgung der Truppen und der Bevölkerung daheim wurde immer mangelhafter. Im Ausland wurden die politischen Emigranten als Vertreter der Volksgruppen zu Hause anerkannt. Die Zerschlagung der Habsburger-Monarchie war eine beschlossene Sache. Karls Regierung arbeitete seit Jahresbeginn an einer Verfassungsreform für die Nachkriegszeit, die gemäß dem 14-Punkte-Programms des US-Präsidenten Wilson ausfallen sollte, also die "Selbstbestimmung der Völker" innerhalb der Monarchie verwirklichen würde. Am 16. Oktober 1918 erließ der Kaiser das so genannte Völkermanifest, das Österreich in einen Bundesstaat umwandelte und die Völker der Monarchie aufrief, eigene Nationalräte zu bilden. Es war ein gewagter Versuch, im letztem Moment die alte Monarchie zusammenzuhalten. Es war aber auch noch mehr: Eine kaiserliche Vision für die Zukunft des Donauraumes. Im Chaos des Krieges hatte das Manifest jedoch nicht den gewünschten Erfolg: Dadurch, dass die Deutschnationalen es als unterträglich empfanden, nun in einem neu zu bildenden tschechoslowakischen Kronland leben zu müssen, war ihre Unterstützung nicht vorhanden. Das größte Problem stellte aber Ungarn dar: Aufgrund der durch das Manifest erfolgten Neustrukturierung Österreichs sah die ungarische Regierung den Ausgleich von 1867 als ungültig an und erklärte das Ende der Realunion - einzige Gemeinsamkeit mit Österreich war nun nur noch der politisch entmachtete Kaiser und König, und das Manifest hatte für Ungarn, wo die meisten Probleme bestanden, keine Gültigkeit.

Die Völker der Monarchie gingen auseinander, wenigsten freundschaftlich und geordnet, was durch Karls Manifest möglich geworden war. Trotzdem fühlte sich der Kaiser für seine Untertanen verantwortlich. Er weigerte sich abzudanken, wie es sein deutscher Amtskollege bereits getan hatte. Am 11. November unterschrieb er schließlich mit Bleistift eine Verzichtserklärung, in der er auf seine persönliche Teilnahme an den Regierungsgeschäften verzichtete. Die kaiserliche Familie verließ Schönbrunn in Richtung des Marchfelderschloßes Eckartsau unweit von Wien und Budapest. Sein Jagdrevier sollte den geschrumpften Hof ernähren. König Georg V. von England stellte auf Bitten des Prinzen Sixtus die Kaiserfamilie in Eckartsau unter Schutz eines britischen Offiziers, Oberstleutnant Strutt.

Am 23. März 1919 verließen Kaiser Karl und seine Familie in einem Hofzug Eckartsau, um in ihr Exil in die Schweiz zu reisen. Am Bahnhof sagte der Kaiser zur trauernden Menge lediglich: "Meine Freunde, Auf Wiedersehen!" Zu Strutt im Zug sagte er traurig: "Nach 700 Jahren"... Der Schriftsteller Stefan Zweig schilderte in seiner Autobiographie "Die Welt von Gestern" die Ausreise des Kaisers:

Langsam, ich möchte fast sagen, majestätisch, rollte der Zug heran, ein Zug besonderer Art, nicht die abgenutzten, vom Regen verwaschenen gewöhnlichen Passagierwaggons, sondern schwarze, breite Wagen, ein Salonzug. Die Lokomotive hielt an. Eine fühlbare Bewegung ging durch die Reihen der Wartenden, ich wußte noch immer nicht warum. Da erkannte ich hinter der Spiegelscheibe des Waggons hoch aufgerichtet Kaiser Karl, den letzten Kaiser von Österreich und seine schwarzgekleidete Gemahlin, Kaiserin Zita. Ich schrak zusammen: der letzte Kaiser von Österreich, der Erbe der habsburgischen Dynastie, die siebenhundert Jahre das Land regiert, verließ sein Reich! Obwohl er die formelle Abdankung verweigert, hatte die Republik ihm die Abreise unter allen Ehren gestattet oder vielmehr von ihm erzwungen. Nun stand der hohe ernste Mann am Fenster und sah zum letztenmal die Berge, die Häuser, die Menschen seines Landes. Es war ein historischer Augenblick, den ich erlebte - und doppelt erschütternd für einen, der in der Tradition des Kaiserreichs aufgewachsen war, der als erstes Lied in der Schule das Kaiserlied gesungen, der später im militärischen Dienst diesem Manne, der da in Zivilkleidung ernst und sinnend blickte, Gehorsam zu Land, zu Wasser und in der Luft geschworen. (...)

"Der Kaiser", dieses Wort war für uns der Inbegriff aller Macht, allen Reichtums gewesen, das Symbol von Österreichs Dauer, und man hatte von Kind an gelernt, diese zwei Silben mit Ehrfurcht auszusprechen. Und nun sah ich seinen Erben, den letzten Kaiser von Österreich, als Vertriebenen das Land verlassen. Die ruhmreiche Reihe der Habsburger, die von Jahrhundert zu Jahrhundert sich Reichsapfel und Krone von Hand zu Hand gereicht, sie war zu Ende in dieser Minute. Alle um uns spürten Geschichte, Weltgeschichte in dem tragischen Anblick. Die Gendarmen, die Polizisten, die Soldaten schienen verlegen und sahen leicht beschämt zur Seite, weil sie nicht wussten, ob sie die alte Ehrenbezeigung noch leisten dürften, die Frauen wagten nicht recht aufzublicken, niemand sprach, und so hörte man plötzlich das leise Schluchzen der alten Frau in Trauer, die von wer weiß wie weit gekommen war, noch einmal "ihren" Kaiser zu sehen. Schließlich gab der Zugführer das Signal. Jeder schrak unwillkürlich auf, die unwiderrufliche Sekunde begann. Die Lokomotive zog mit einem starken Ruck an, als müsste auch sie sich Gewalt antun, langsam entfernte sich der Zug.

Aus der Schweiz versuchte Kaiser Karl zweimal seinen Thron in Ungarn zurückzugewinnen, um die dortige faktische Diktatur des ehemaligen Marine-Admirals Miklós Horthy zu beenden, was allerding erfolglos blieb. Daraufhin wurde er 1921 von der Entente auf die portugiesische Insel Madeira verbannt. Der Kaiser war gesundheitlich bereits sehr angeschlagen. Geldnot zwang die Familie in einer Villa am Berg zu wohnen. Die Villa war ungeheizt, und die Gegend im Winter ungesund. Im März 1922 erlitt Karl eine schwere Grippeinfektion. Sein Zustand verschlechterte sich rasch. Österreichs letzter Kaiser verstarb nach schwerem Leiden am 1. April 1922 an einer Lungenentzündung. Er war knapp 35 Jahre alt.

Seine Leiche wurde in der Kirche do Monte beigesetzt. Der Sarg trägt die Worte aus dem "Vater Unser": Fiat voluntas tua - Dein Wille geschehe. Eine Überführung von Karls sterblichen Überresten in die Kapuzinergruft wurde bislang von seinem Sohn Otto von Habsburg ausgeschlossen, da er den Leichnam bei der Bevölkerung von Madeira belassen wollte, die die Familie in den letzten Monaten sehr unterstützt hatte.

Papst Johannes Paul II. sprach nach fünzigjähriger Initiative der "Kaiser-Karl-Gebetsliga für den Weltfrieden" den Monarchen am 3. Oktober 2004 selig. Gedenktag ist der 21. Oktober, Karls Hochzeitstag. In der Republik Österreich waren der Anwesenheit einer Delegation unter Führung von Nationalratspräsident Khol bei der Seligsprechung kontrovers geführte Diskussionen vorausgegangen.

Indem Sie auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Gerät gespeichert werden, um die Navigation auf der Website zu verbessern und die Nutzung der Website zu analysieren. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.