von Dr. Alexander Schneider
Südtirol ist historisch ein Teil von Österreich, nämlich von 1363 bis 1919. Südtirol ist geografisch ein Teil von Österreich, weil der bei Österreich verbliebene Rest von Tirol in zwei nicht zusammenhängende Territorien Nordtirol und Osttirol zerfällt. Südtirol ist sprachlich ein Teil von Österreich, weil heute ca. 70 % der Südtiroler der deutschsprachigen Volksgruppe angehören (1919 waren es ca. 90%, 1961 am Tiefpunkt waren es ca. 62%). An der klaren deutschsprachigen Mehrheit hat auch die 95 jährige Zugehörigkeit zum italienischen Staat nichts geändert. Außerdem gibt es eine Beweiskette von zwingender Logik, mit der nachweisbar ist, dass die Abtrennung Südtirols zu Unrecht erfolgt ist und dass dieses Unrecht nicht verjährt ist.
Die Abtrennung Südtirols von Österreich erfolgte auf Basis des sogenannten „Friedensvertrags“ von St. Germain, der 1919 zwischen den alliierten und assoziierten Siegermächten des ersten Weltkriegs und „Österreich“ unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag ist meiner Auffassung nach null und nichtig und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die wesentlich betroffene Vertragspartei ist in (bewusst) irreführender und widersprüchlicher Weise nicht genau definiert. Im Vertrag ist namentlich von „Österreich“ die Rede. Unterzeichner im Namen von „Österreich“ war Dr. Karl Renner, Bundeskanzler der am 30.Oktober 1918 gegründeten Republik Deutsch-Österreich. Da es sich um einen „Friedensvertrag“ handelt, müssten eigentlich die kriegführenden Parteien unterzeichnen, d.h. die Monarchie Österreich-Ungarn bzw. das alte Österreich. Karl Renner war der falsche Ansprechpartner, der richtige Ansprechpartner für einen Friedensvertrag, der Schuld und Wiedergutmachung regelt, wäre Kaiser Karl gewesen.
2. Der „Friedensvertrag“ ist in dieser Form überflüssig, weil es nie einen Kriegszustand zwischen den Alliierten und der Republik Deutsch-Österreich gegeben hatte: Weder hatte die Republik den Krieg erklärt noch hatte sie kriegerische Handlungen unternommen. Die Republik hätte das gar nicht können, selbst wenn sie gewollt hätte, weil sie über keine militärischen Mittel verfügte. Erst mit der Gründung des Österreichischen Bundesheeres nach Unterzeichnung des Friedensvertrags hatte die Republik Österreich, wie sie ab dann genannt wurde, Befehlsgewalt über ein Heer. Die k. u. k. Armee war auf den Kaiser als Oberbefehlshaber vereidigt und unterstand nie der Republik. Am 4.November 1918 wurde der Waffenstillstand zwischen der k. u. k. Armee und den Alliierten auf Befehl des Kaisers geschlossen. In diesem Waffenstillstandsabkommen wurde lediglich der Rückzug der kaiserlichen Truppen nach Norden bis zum Brenner vereinbart, nicht jedoch der Verzicht Österreichs auf die Souveränität über Südtirol.
3. Die Republik Deutsch-Österreich kann nicht als Rechtsnachfolger des kaiserlichen Österreich angesehen werden weil zu dem Zeitpunkt ihrer Gründung auf dem Gebiet des alten Österreich ein souveräner Staat Tschechoslowakei bereits bestand, der wesentliche Teile des Territoriums, der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Ressourcen des alten Österreich enthielt und die Republik Deutsch-Österreich daher niemals die Souveränität über die Ressourcen des alten Österreich ausüben konnte. Am 28. Oktober 1918, d.h. zwei Tage vor der Gründung der Republik Deutsch-Österreich wurde in Prag die Tschechoslowakische Republik ausgerufen. Diese muss ab dem Zeitpunkt ihrer Gründung als souveräner real existierender Staat angesehen werden. Ab dem 3. September 1918 wurden die Tschechen und Slowaken von den alliierten Westmächten Frankreich, Großbritannien und USA als kriegsteilnehmende Macht und ihr Nationalrat im Exil als rechtmäßiger Vertreter anerkannt. Die Tschechoslowakei nahm bei den späteren Friedensverhandlungen mit „Österreich“ als Bündnispartner der alliierten Siegermächte teil.
4. Die Republik Deutsch-Österreich wollte auch niemals die Souveränität über das gesamte kaiserliche Österreich ausüben. Sie wurde gegründet als Reaktion auf eine Einladung des Kaisers Karl am 17.Oktober 1918 an alle Völker des Reiches, eigene Nationalräte zu gründen um eine Föderation zu bilden. Der erste Nationalrat von Deutsch-Österreich bestand aus den deutschsprachigen Vertretern des ehemaligen Reichsrats und konstituierte sich als Vertreter der deutschsprachigen Volksgruppe in Österreich (auch jener in Böhmen, deren Siedlungsgebiete wurden aber gegen ihren Willen der Tschechoslowakischen Republik eingegliedert). Auch deshalb kann Deutsch-Österreich nicht als Rechtsnachfolger des kaiserlichen Österreich angesehen werden.
5. Die Tschechoslowakei hatte damals ca. 13 Mio Einwohner, davon 7 Mio Tschechen, 2 Mio Slowaken, 3 Mio deutschsprachige Altösterreicher, 0,75 Mio Ungarn und andere Volksgruppen. Außerdem befand sich der Großteil der Industrie des alten Österreich in Böhmen und gehörte zum neu gegründeten Staat Tschechoslowakei. Damit war die Tschechoslowakei dem alten Vielvölkerstaat Österreich ähnlicher und hatte auch günstigere Voraussetzungen für ihre wirtschaftliche Entwicklung als die Republik Deutsch-Österreich mit ihren 6,5 Mio vorwiegend deutschsprachigen (aber auch slowenischen und kroatischen) Einwohnern. Die größere und wirtschaftlich stärkere Tschechoslowakei hätte leichter Reparationszahlungen leisten können als das kleinere und wirtschaftlich schwächere Deutsch-Österreich. Beide Staaten sind als grundsätzlich gleichberechtigte Nachfolgestaaten der österreichischen Monarchie anzusehen. Es ist unrecht, einer Volksgruppe oder einem Nachfolgestaat allein die ganze Schuld am Krieg und die ganze Last der Reparationszahlungen zuzuweisen. Das ist eine Diskriminierung und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz der Menschenrechte. Es war weder die deutsche Volksgruppe in Österreich, noch die Einwohner einer bestimmten Region des alten Österreich, die den Krieg erklärt hat, sondern Kaiser Franz Josef als Staatsoberhaupt eines Vielvölkerstaats und als Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee, die Soldaten aus allen Völkern des Reichs rekrutierte.
6. Wenn die Alliierten in einer nicht diskriminierenden Weise über Kriegsschuld und Wiedergutmachung hätten verhandeln wollen, dann hätten sie nicht vorzeitig die Tschechoslowakische Republik anerkennen dürfen. Die Gründung des tschechoslowakischen Staates wie auch des jugoslawischen Königreiches hätte allenfalls das Ergebnis am Ende aber nicht der Status quo am Beginn einer Friedensverhandlung sein können. Man hätte zumindest für die Dauer der Verhandlungen das alte Österreich in seinen ursprünglichen Grenzen und Ressourcen bestehen lassen müssen. Die Alliierten hätten dazu die Macht gehabt. In einer solchen Verhandlung mit Kaiser Karl und seiner Delegation hätte man im Einvernehmen mit den Siegermächten gemeinsam festlegen können, in welcher Art und Weise Reparationszahlungen auf die Teile der ehemaligen Monarchie angemessen aufzuteilen sind. Da die Westmächte sich entschlossen hatten, die Tschechoslowakei bereits vor Kriegsende als souveränen Staat anzuerkennen, haben sie die Souveränität des Kaisers Karl de facto abgeschafft und sich selbst des einzigen legitimen Verhandlungspartners beraubt. Pragmatisch und realpolitisch bleibt in dieser Situation nur eine mögliche Konsequenz: Da man keine Forderungen an den Nachfolgestaat Tschechoslowakei gestellt hatte bzw. stellen wollte hätte man auch keine Forderungen an den Nachfolgestaat Republik Deutsch-Österreich stellen dürfen. Anstelle eines Friedensvertrags hätte die einseitige Erklärung der Siegermächte genügt, dass der Krieg beendet ist, weil der Gegner aufgehört hat zu existieren. Es erübrigt sich, mit einem Gegner, der vernichtet ist, Friedensverhandlungen zu führen. Selbst wenn man das politische Ziel anerkennt, die slawischen Völker zu bevorzugen als Ausgleich dafür, dass sie seit dem Ausgleich von 1867 zwischen Österreich und Ungarn benachteiligt waren, ist eine alleinige Schuldzuweisung an die Republik Deutsch-Österreich nicht gerechtfertigt. Das politische Ziel wurde mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik bereits erreicht, da hier ein Staat mit slawischer Bevölkerungsmehrheit geschaffen wurde, der über die größten und wertvollsten Ressourcen des alten Österreich verfügte.
7. Als der „Friedensvertrag“ mit „Österreich“ ausgearbeitet wurde, waren 40 Staaten bei der Verhandlung anwesend, darunter Staaten wie Nicaragua, Panama und Siam und eben auch die Tschechoslowakei, sie alle stellten die „Siegermächte“ dar. Die Delegation der Republik „Deutsch-Österreich“, die stellvertretend für das alte Österreich den Verlierer darstellen musste, und um deren Zukunft es ging, durfte an den Verhandlungen nicht teilnehmen. Lediglich eine schriftliche Stellungnahme zum Entwurf war gestattet. Als die Delegation der Republik den Vertragsentwurf sah, war sie entsetzt. Kanzler Renner richtete in schriftlicher Form eine dringende Bitte an den Verhandlungsleiter, Präsident Clemenceau von Frankreich, die Bedenken Deutsch-Österreichs in mündlicher Form bei den Verhandlungen vortragen zu dürfen. Die Bitte wurde von Clemenceau schriftlich abgelehnt mit der Begründung, dass er die Schuld am Krieg bei der deutschen Volksgruppe sieht und nicht bei den Slawen. Das ist eine Diskriminierung und ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte, die es nicht erst seit der Deklaration 1948 in der UNO gibt. Davor gab es zwei andere Fassungen und zwar eine in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und eine von der französischen Nationalversammlung von 1789. Artikel 1 der französischen Erklärung der Menschenrechte von 1789 lautet „Die Menschen (Männer) werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Gesellschaftliche Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.“ Artikel 11 der französischen Erklärung der Menschenrechte von 1789 definiert das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung: „Die freie Äußerung von Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte: Jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.“ Die französische Erklärung der Menschenrechte ist die erste Menschenrechtserklärung in Europa und steht in Frankreich seit 1789 bis heute im Verfassungsrang. Der französische Präsident Georges Clemenceau, der federführend verantwortlich für die Verhandlung war, hat im Umgang mit Karl Renner und der Delegation der Republik Deutsch-Österreich 1919 gegen Artikel 1 und gegen Artikel 11 der französischen Fassung der Menschenrechte und damit auch gegen die französische Verfassung verstoßen. Sie definiert ausdrücklich die Rechte aller Menschen und nicht bloß die Rechte der französischen Staatsbürger. Die Tatsache, dass die Verletzung der Menschenrechte auf französischem Staatsgebiet stattfand ist ein weiterer Beweis dafür, dass geltendes Recht gebrochen wurde. Doch ist dieser Rechtsbruch nicht längst verjährt?
Das Völkerrecht definiert „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, solche Verbrechen verjähren nicht. Eine Menschenrechtsverletzung ist nicht automatisch ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Verbrechen, die nicht verjähren sind z.B. Völkermord, beispielsweise die systematische Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten oder der Massenmord an den Armeniern in der Türkei 1915. Daneben gibt es aber noch eine Reihe anderer Verbrechen, die nicht verjähren. Eines davon ist „Verfolgung“, ein Verbrechen das darin besteht, dass einer Gruppe von Menschen nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe systematisch ihre Menschenrechte vorenthalten werden. Karl Renner ist 1919 nicht als Privatmann nach Paris gefahren. Wenn dem Vertreter eines Volkes oder dem Repräsentanten eines Staates in Ausübung seines Amtes ein oder mehrere Menschenrechte vorenthalten werden, ist das automatisch gleichbedeutend damit, dass allen Menschen, die er vertritt, diese Rechte systematisch vorenthalten werden. Dadurch dass der französische Präsident Georges Clemenceau auf französischem Staatsgebiet dem Vertreter aller Staatsbürger der Republik Deutsch-Österreich, Karl Renner, in Ausübung seines Amtes das Recht auf Gleichbehandlung und das Recht auf freie Meinungsäußerung verweigert hat, hat er automatisch allen Staatsbürgern der Republik Deutsch-Österreich diese Rechte vorenthalten. Es liegt somit der Tatbestand der Verfolgung vor, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das nicht verjährt.
Dass eine mündliche Vorsprache durchaus eine Verbesserung für Österreich hätte bewirken können, ist dadurch evident, dass die andere Kulturnation, die im Jahr 1919 bereits über eine Definition von Menschenrechten verfügte, die USA, den „Friedensvertrag“ von St. Germain nie ratifizierte, sondern 1921 einen eigenen Friedensvertrag mit der Republik Österreich schloss. Offenbar wurde den USA bewusst, wie mangelhaft dieser „Friedensvertrag“ war. Es gab 1919 in Paris keine mündliche Vorsprache der Delegation Deutsch-Österreichs und auch keine Verbesserung des Vertragsentwurfs im Sinne der Republik Deutsch-Österreich. Stattdessen wurde die Republik unter Androhung von Waffengewalt gezwungen, den vorliegenden Vertragsentwurf zu unterschreiben. Da die Republik keine Schuld am Krieg trifft, liegt hier ein Fall von Nötigung vor. Die Nötigung eines ganzen Staates muss ebenfalls als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden.
Ich ersuche die Republik Österreich, gegen den Vertrag von St. Germain beim internationalen Gerichtshof eine Nichtigkeitsbeschwerde einzubringen. Da es nie einen Krieg zwischen den Alliierten und der Republik Österreich gab, ist eine Neufassung nicht erforderlich. Die Abtretung Südtirols an Italien erfolgte aufgrund des Irrtums, dass der Vertrag von St. Germain rechtskräftig sei und damit zu Unrecht. Die Tatsache, dass der Verhandlungsführer der Siegermächte im Umgang mit dem Vertreter der Bürger der Republik Deutsch-Österreich in Ausübung seines Amtes gegen die für ihn damals rechtsverbindliche Fassung der Menschenrechte, verstoßen hat, macht aus dem Unrecht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Verfolgung und Nötigung) und ist daher nicht verjährt. Selbst wenn das Unrecht verjährt wäre, müsste es trotzdem um der Gerechtigkeit willen rückgängig gemacht werden, weil die Staatengemeinschaft und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach heute geltender Rechtsauffassung und nach den Prinzipien der Europäischen Union die damals getroffenen Entscheidungen nicht gutheißen können und heute nicht wieder so wie damals entscheiden würden. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker war das Kriegsziel der Alliierten im 1.Weltkrieg. Es muss endlich auch für die Südtiroler gelten.
Ich fordere die Republik Österreich auf, mit dem italienischen Staat Verhandlungen aufzunehmen über die Rückkehr Südtirols nach Österreich und eine damit verbundene Zahlung Österreichs an Italien zur Ablöse der Investitionen, die der italienische Staat in Südtirol getätigt hat und die noch nicht abgeschrieben sind plus der entgangenen künftigen Steuereinnahmen für x Jahre, die Südtirol an Rom abführen würde, wobei der Wert für x zu vereinbaren ist. Nach dem Abschluss der Verhandlungen zwischen Österreich und Italien ist der Vertragsentwurf den Bürgern Südtirols nach einer ausführlichen öffentlichen Diskussion zur Abstimmung vorzulegen. Das Ergebnis der Volksabstimmung soll verbindlich sein.